Der Weg zu meinem Platz im Leben

Ein Gespräch mit Sr.Theodora Galatanu

Sr. Theodora, vor fast genau 34 Jahren kamen Sie ins Kloster Grafschaft.

Wie ist es dazu gekommen?

Ich stamme aus Gheraesti, Kreis Neamt/Rumänien ca.140 km von der ukrainischen Grenze entfernt und bin mit meinem Bruder in einer katholischen Familie, religiös aber in einem kommunistischen Umfeld aufgewachsen. Mein Vater arbeitete als Kraftfahrer in einem staatlichen Bergbaubetrieb, meine Mutter auf dem Feld einer landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft. Das Leben war bis zur Wende 1989 von Mangel geprägt. Geld war nicht das Problem, sondern die Rationierung und Knappheit der Lebensmittel. In Gheraesti besuchte ich die Volksschule und engagierte mich in der Jugendarbeit der Pfarrei. Dabei erinnere ich mich noch gut an eine Begebenheit, die meine Entscheidung zum Ordensleben gefördert hat. Nach einer großen Überschwemmungskatastrophe wurden wir vom Pfarrer angehalten, Lebensmittel für die in Not geratene Bevölkerung zu sammeln. Mehrere Male klopften wir an der Tür des örtlichen Lebensmittelhändlers, der nur widerwillig eine Schaufel Maismehl hergab, während eine als arm bekannte Frau bereitwillig Kartoffeln aus ihrem ohnehin knappen Vorrat spendete. Ich hatte schon immer – heute würde man sagen – ein Helfersyndrom. Aber in dem Augenblick wurde mir bewusst, wie sehr wir Menschen aufeinander angewiesen sind. Wir brauchen uns gegenseitig, egal in welcher Lebenslage wir uns befinden. Niemand sollte allein gelassen werden.

Wann kam ihnen der Gedanke, ins Kloster einzutreten?

Das war ein längerer Prozess. Nachdem ich nicht auf das gewünschte Gymnasium aufgenommen wurde, haderte ich mit mir selbst. Ich fühlte mich von Gott und der Welt allein gelassen und zog mich von allem zurück. Mein Verhalten fiel auch unserem Pfarrer auf, der mit mir darüber sprechen wollte. Am Ende jedoch war es der Kaplan, der mir in der Vorbereitungszeit zur Firmung einen Denkanstoß gab und mir klarmachte, dass Gott vielleicht etwas ganz anderes mit mir vorhat.

Nach vielen Gesprächen mit einer Franziskanerin, die in unserem Ort lebte, reifte in mir der Entschluss einer Ordensgemeinschaft beizutreten. In der Wendezeit kamen verschiedene Kongregationen ins Land, um junge Frauen für das Leben im Kloster zu begeistern, so auch die Ordensschwestern vom hl. Benedikt, zu denen ich mich hingezogen fühlte. Meine Absicht habe ich natürlich auch mit unserem Pfarrer besprochen, der eher skeptisch reagierte: „Die Benediktinerinnen sind hauptsächlich ein Orden der Kontemplation (Kontemplation ist eine Form der tiefen, ruhigen und absichtslosen geistigen Betrachtung oder Einkehr). Das entspricht nicht deinem Naturell. Du bist mehr ein Mensch der Tat.“

Wann haben Sie von den Borromäerinnen das erste Mal gehört?

Ein Freund unseres Pfarrers, Prof. Peterca, hat mich mit den Borromäerinnen bekannt gemacht. Die Ordensausrichtung, sich für Bildung, Arme und Kranke einzusetzen, hat mir sehr gefallen.

Wann sind Sie nach Grafschaft gekommen?

Als Kandidatin kam ich an Heiligabend 1991 in Begleitung von 9 anderen Rumäninnen hier an. Ich war fast 17 Jahre alt und sprach kein Wort deutsch. Deutsch gilt bei uns als eine „kalte Sprache“. Die verwandten romanischen Sprachen kommen uns mehr entgegen. Dennoch haben wir die Sprache schnell erlernt. Ich hatte mehr damit zu kämpfen, mich an die neue Kultur zu gewöhnen und vermisse die rumänischen Sitten und Gebräuche immer noch. Die damalige Generaloberin Sr. Virginia, die heute 95-jährig in unserem Schwesternaltenheim Maria Frieden lebt, und die Mitschwestern aus Rumänien, die vor mir da waren haben mir geholfen, mich schnell zurecht zu finden. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Was verbindet Sie mit ihrer Namensgeberin Theodora?

Der Name ist einer von drei Namen, die ich mir bei der Einkleidung wünschen durfte. Ich bekam den Ordensnamen Theodora. Damals hatte ich mich mit der Bedeutung der Namen nicht auseinandergesetzt. Erst später ist mir der Sinn klargeworden. Er entstammt dem Griechischen und bedeutet „Gottes Geschenk“.

Wie wichtig ist eine gute Ausbildung?

Sehr wichtig. Ich wusste ja, dass der Pflegeberuf für mich das Richtige ist.

Nach der Einkleidung 1992, dem anschließenden Noviziat und der ersten Profess begann ich 1994 die Ausbildung zur Krankenpflegerin und habe im Krankenhaus Grafschaft sechs Jahre auf der Station 1, ein Jahr auf der Intensivstation und zwei Jahre als stellvertretende Stationsleiterin auf der Station 3 gearbeitet. Nach einer plötzlichen Erkrankung von Schwester Liboria wurde ich 2006 von der damaligen Ordensleitung als Krankenhausoberin ernannt und übernahm parallel die Aufgabe der stellvertretenden Pflegedienstleitung.

Die Krankenpflege gehört sozusagen zur Kernkompetenz der Borromäerinnen. Heute sind Sie Pflegedirektorin. 

Ja, im Laufe der Jahre habe ich verschiedene fachliche und geistliche Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen besucht und ab 2009 berufsbegleitend Pflegemanagement studiert. Ende 2014 übernahm ich die Aufgabe als Pflegedirektorin. Die Aufgaben sind jedoch meist administrativer Natur, obwohl es mir schon am Herzen liegt, die Prozesse an der „Basis“ zu begleiten.

Wo sehen Sie in ihrem Tätigkeitsbereich Handlungsbedarf bzw. Herausforderungen für die Zukunft?

Ganz klar so weit wie möglich und nötig sehe ich hier Bedarf in der Entbürokratisierung. Die Bürokratie raubt uns viel Zeit für Dinge, die wichtiger sind. Der Mensch bleibt dabei auf der Strecke.

 

Wie kann man gegensteuern?

Wir müssen uns meiner Meinung nach stärker als bisher wieder den Menschen zuwenden. Viele leiden inzwischen unter großer Einsamkeit, was generell zu einem gesellschaftlichen Problem geworden ist. Die Ursachen sind vielfältig. Es mangelt an sozialen Kontakten oder an gegenseitigem Interesse und Zeit. Neue Kommunikationsmittel verändern zudem das Kommunikationsverhalten. Die Folge ist, dass es langsam immer ruhiger um uns wird. Das kann zu Aggressionen und Depressionen führen. Ich habe die Erfahrung gemacht, wie hilfreich es ist, die betroffenen Menschen ernst zu nehmen, sie direkt anzusprechen, zuzuhören, Verständnis aufzubringen und Mut zu machen. Viele zeigen sich am Ende dankbar. Mit der Zeit bekommt man ein gutes Gespür für solche Situationen.

 

In psychischer Not einem Menschen mental beizustehen, ist sicher auch eine Form der Barmherzigkeit, die ja Teil ihres Gelübdes ist. Ich weiß, dass Barmherzigkeit für viele Schwestern eine Herzensaufgabe ist und in den ausländischen Niederlassungen wie beispielsweise in Ägypten oder Palästina tagtäglich praktiziert wird, weil die Armut und Hilfsbedürftigkeit konkret und sichtbar sind. Ist Barmherzigkeit in unserer zivilisierten Welt überhaupt ein Thema, weil die Menschen ja gut versorgt werden und durch das soziale Netz abgesichert sind?

Grundsätzlich haben Sie recht. Aber es sieht nur oberflächlich so aus. Ich selbst kenne auch hier Menschen, die mit einer Fülle von Herausforderungen stark belastet sind und Hilfe brauchen, weil Ihnen alles über den Kopf wächst. Dazu kommt die Angst vor Ausgrenzung, wenn nicht alles so funktioniert, wie es die Gesellschaft von einem erwartet. Dabei kann es jeden von uns genauso ergehen und es sind keine Einzelfälle.

Hier und heute gibt es genügend Beispiele, wo und wie man Barmherzigkeit praktizieren kann. Man muss nur seine Sinne dafür schärfen. So haben wir in unserer Jugend alten Menschen beim Einkauf, beim Reinigen der Wohnung oder bei der Essenszubereitung geholfen. Für die Betroffenen war damals schon das Gespräch wichtig und dass jemand da war, der zuhören konnte.

 

 

 

Wie hat denn eigentlich ihre Familie den Ordenseintritt gesehen?

Sie waren einverstanden, einen Konflikt hat es nicht gegeben. Aber sie waren traurig, dass ich seither so weit weg von ihnen lebe. Inzwischen ist mein Vater verstorben. Meine Mutter besuche ich aber regelmäßig einmal im Jahr, wenn ich Heimaturlaub habe, und ich freue mich jedes Mal darauf in die alte Heimat reisen zu dürfen.

Finden Sie auch Zeit für sich selbst?

Den Ausgleich suche ich mit Vorliebe in der Natur. Ich lese aber auch gerne und bin seit früher Jugend ein leidenschaftlicher Fußballfan.

Ein Schlusswort: Wie fühlen Sie sich heute persönlich?

Ich bin angekommen und habe ein erfülltes Leben.

Das war ein gutes und aufschlussreiches Gespräch.

Vielen Dank Sr. Theodora

Redaktion: Günter Naujoks, Vorstandsmitglied im Freundeskreis der Borromäerinnen Kloster Grafschaft e.V.,
erstellt im September 2025.